Schrebergartenidyll

Gerade hat der Herbst begonnen – (um 14.43 Uhr – ich hab’s nachgelesen;-)) –

doch der Felsen erstrahlt in ’südlichen‘ Tagen.

Kein Wölkchen trübt den Himmel – trotz Ansage eines Wetterumschwungs – und noch einmal werden die kurzen Hosen und Sommerkleider ausgeführt oder man badet am Nordstrand in der Sonne.

Dennoch führt nichts am Ende des Sommers vorbei.

Die Heidschnucken legen sich jetzt die dicken Mäntel zu

und am Vogelfelsen sind alle abgereist – bis auf ein paar wenige, die sich noch nicht trauen.

Die Schrebergärten werden hier ‚Acker‘ genannt, auch wenn es zum Teil ganz winzige Parzellen sind.

Das erinnert an die Kartoffeläcker, die vor den Weltkriegen rechts und links der ‚Kartoffelallee‘ lagen, die von der Süd- schnurgerade zur Nordspitze führte.

(Die Karte stammt aus einer Ausgabe der ‚Gartenlaube‘ von 1890.) Damals retteten die Äcker die Insulaner über manch kargen Winter hinweg.

Heute werden dort die eigenen Tomaten, der eigene Kohl, Spinat, Salat und sogar Artischocken gezogen.

Und sie sind das Draußenwohnzimmer der Insulaner, denn Helgoländer Wohnungen sind klein.

Kein Wunder, dass sie nicht selten sorgsam ausgeschmückt werden – so wie eben auch der Drinnen-Salon.

Privat – fast scheint es, als werde der Blick auf die See alleine und nur für sich selbst beansprucht.

Nein – es richtet sich gegen allzu neugierige Blicke von Touristen, die manchmal sich nicht entblöden, ungeladen über eine Terrasse in ein Wohnzimmer einzutreten. Die Entschuldigung ist dann: „Wir wollten doch nur mal gucken, wie Helgoländer leben.“

Nun ihr Lieben – sie leben genauso wie andere Leute. Doch weil die Häuser eng aufeinander sitzen, lebt man auch eng aufeinander.

Nicht dass es auf dem Acker anders wäre, doch dort ist man ‚Mensch‘ – wie in den Festlandschrebergärten auch – was auch immer dann ‚Mensch‘ bedeutet ;-))

Und ich suche nach Herbstgedichten für meine Kurzen ……..

Ferner Raum

Nächtliche Tour durch eine Schule – nach einem Open-Air-Genuss – ohne Schüler und nachts ein seltsam fremder Ort.

Immerhin verbrachte ich etliche Jahre ein Viertel bis ein Drittel meiner damaligen Lebenszeit dort, lernte Englisch, Latein, Französisch, sehr gern Deutsch und Gemeinschaftskunde, unterschätzte dagegen Mathe und brachte Biologie leidlich hinter mich, hasste Physik – und verliebte mich in die Kunstlehrerin und ihr Fach.

Wieviele Jahrgänge seit uns hier durchgeschleust worden sind, sinniere ich. „49“, hat mein Bruder schon errechnet. „Und die Lehrer, die uns unterrichtet haben, kennt schon längst keiner mehr, nicht einmal die damals jüngsten.“

Schon stehen sie als alte Gespenster auf dem Schulhof, der damals viel weiter war, und führen Aufsicht über die wuselnden Geister, hasten mit schweren Taschen oder stolzieren mit Buch und Heft über den Schulhof. Die Schlimmen haben ihren Schrecken verloren – und die Guten noch immer einen dicken Stein im Brett.

In der Ecke sitzen die Jungs, die jede – wirklich jede – Pause zum Skatspielen nutzten.

Auf der Treppe verbrachte wir sitzend die Pausen – und wurden hoch gescheucht, wenn sich eine Lehrkraft im Zackzack durch die Sitzreihen hinaufzwängen musste.

Dort – am damals definitv ekligsten Ort der ganzen Schule – steigt ein Hauch von Chlor vermischt mit Harnsäure und Rauch aus der Erinnerung auf.

Von der Treppe gelangte man auf einen eher schäbigen Hof, der heute mit Sitzbänken aufgehübscht ist.

Von dort führt ein Weg hoch zum langen Wandelgang. Der Weg erschien uns als Schüler endlos steil – und auf ihm küsste mich nach einer langen dunklen Zeit ein Sonnenstrahl.

Die Freitreppe am Oberstufentrakt ist heute kurz und leicht zu bewältigen. Zu spät gekommen war er die letzte Hürde, bevor man sich kurz fasste und würdevoll in den begonnenen Unterricht glitt.

Dort, wo früher in Glaskästen die Aushänge und Informationen über Kurse hingen, hat sich der letzte Abi-Jahrgang verewigt. Nett- offensichtlich mochte man seine Lehrer*innen.

Der Fahrradkeller wurde mit Lehrerzitaten geschmückt.

Also spielen sich in allen Schulen hin und wieder ähnliche Szenen ab – und sie bleiben über Jahre gleich – ;-))

Aber die Namen haben sich verändert – damals hätte unter den Händen Jürgen oder Gabi, Sabine oder Karl-Heinz, Geli oder Bernd gestanden –

vor sehr langer Zeit.

Und der Film? – Zu empfehlen, ‚Poor Things‘, eine abgefahrene Geschichte über self-empowerment.

Wetterleuchten

Auf dem Felsen stimmt sich alles langsam auf Herbst ein.

Noch ist der Wind lau und der Felsen gibt noch reichlich Wärme ab, auch wenn sich die verhangenen Tage mehren.

Im Osten und Norden sind Meer und Himmel kaum voneinander zu unterscheiden.

Im Westen hebt sich der Horizont zuweilen ab, die allmählich sinkende Sonne setzt sich auch gegen den Dunst durch und malt Licht und Schatten auf die See.

Aus der Gemeinschaft der Basstölpel sind schon etliche weggezogen.

Ein Rest wartet noch, bis auch die letzten Youngster flugfähig sind. Manche üben schon, doch sind die Flügelarme noch ein wenig zu dünn, um sie auf den Atlantik ins Winterquartier zu tragen.

An meinem Lieblingsplatz sind die Disteln nur noch braune Gerippe.

Über dem das Grün der Matte legt sich eine hellbraune Schicht dürrer Gräser, die leicht im Wind wippen.

Stille! Wenig Gäste, die sich hier draußen herumtreiben. Klar, die Sommerferien sind vorbei – und die Ornithologensaison hat noch nicht begonnen.

In dieser Idylle scheinen die Ereignisse auf dem Festland weit weg. Vor einer Woche hat sich in zwei Bundesländern eine relevante Minderheit für autoritäre Konzepte und in der Tendenz menschenfeindliche Politik entschieden.

Derweil habe ich einen Podcast gehört: Die Tagebücher Victor Klemperers – eingeordnet und aufbereitet von der Historikerin Leonie Schöler und präsentiert im Deutschlandfunk. Beeindruckend schildert Victor Klemperer, wie schon während der Weimarer Republik – also vor hundert Jahren – antisemitisches Denken ganz erheblich seine Biografie beeinflusst – nicht zu reden von den täglichen Mikroaggressionen. Er beschreibt die zunehmenden Demütigungen, denen er unter den Nationalsozialisten ausgesetzt ist, beschreibt Haft und Arbeitseinsatz, beschreibt Hunger und tägliche Not – und hat doch Glück, da er der Ehemann einer nichtjüdischen Frau ist. Er beschreibt die Verharmlosung von Menschenfeindlichkeit durch Euphemismen (verschönernde Wörter), die die Verrohung der Zivilgesellschaft verschleiern. Und er schildert, wie sich Nachbarn und gute Bekannte wegducken, diesem allgemeinen Mindset anpassen und teilweise davon profitieren.

Auch wenn Geschichte sich nicht genau so wiederholt, wollen wir wirklich solche Entwicklungen wiederhaben? –

Es wird Herbst – den Herbst einer Demokratie kann man aufhalten, den anderen nicht.

Wetterleuchten …