Ferner Raum

Nächtliche Tour durch eine Schule – nach einem Open-Air-Genuss – ohne Schüler und nachts ein seltsam fremder Ort.

Immerhin verbrachte ich etliche Jahre ein Viertel bis ein Drittel meiner damaligen Lebenszeit dort, lernte Englisch, Latein, Französisch, sehr gern Deutsch und Gemeinschaftskunde, unterschätzte dagegen Mathe und brachte Biologie leidlich hinter mich, hasste Physik – und verliebte mich in die Kunstlehrerin und ihr Fach.

Wieviele Jahrgänge seit uns hier durchgeschleust worden sind, sinniere ich. „49“, hat mein Bruder schon errechnet. „Und die Lehrer, die uns unterrichtet haben, kennt schon längst keiner mehr, nicht einmal die damals jüngsten.“

Schon stehen sie als alte Gespenster auf dem Schulhof, der damals viel weiter war, und führen Aufsicht über die wuselnden Geister, hasten mit schweren Taschen oder stolzieren mit Buch und Heft über den Schulhof. Die Schlimmen haben ihren Schrecken verloren – und die Guten noch immer einen dicken Stein im Brett.

In der Ecke sitzen die Jungs, die jede – wirklich jede – Pause zum Skatspielen nutzten.

Auf der Treppe verbrachte wir sitzend die Pausen – und wurden hoch gescheucht, wenn sich eine Lehrkraft im Zackzack durch die Sitzreihen hinaufzwängen musste.

Dort – am damals definitv ekligsten Ort der ganzen Schule – steigt ein Hauch von Chlor vermischt mit Harnsäure und Rauch aus der Erinnerung auf.

Von der Treppe gelangte man auf einen eher schäbigen Hof, der heute mit Sitzbänken aufgehübscht ist.

Von dort führt ein Weg hoch zum langen Wandelgang. Der Weg erschien uns als Schüler endlos steil – und auf ihm küsste mich nach einer langen dunklen Zeit ein Sonnenstrahl.

Die Freitreppe am Oberstufentrakt ist heute kurz und leicht zu bewältigen. Zu spät gekommen war er die letzte Hürde, bevor man sich kurz fasste und würdevoll in den begonnenen Unterricht glitt.

Dort, wo früher in Glaskästen die Aushänge und Informationen über Kurse hingen, hat sich der letzte Abi-Jahrgang verewigt. Nett- offensichtlich mochte man seine Lehrer*innen.

Der Fahrradkeller wurde mit Lehrerzitaten geschmückt.

Also spielen sich in allen Schulen hin und wieder ähnliche Szenen ab – und sie bleiben über Jahre gleich – ;-))

Aber die Namen haben sich verändert – damals hätte unter den Händen Jürgen oder Gabi, Sabine oder Karl-Heinz, Geli oder Bernd gestanden –

vor sehr langer Zeit.

Und der Film? – Zu empfehlen, ‚Poor Things‘, eine abgefahrene Geschichte über self-empowerment.

Schnee

Naja – manchmal schneit’s auch auf Helgoland – meistens nicht nachhaltig.

Dieses Jahr nun doch – es fiel genug, damit auf dem Schulhof Schneeballschlachten stattfinden konnten. Unterricht war nicht mehr möglich, denn manche schauten verzaubert hinaus in dicke Flocken, die herabsegelten, anstatt sich den Finessen des deutschen Satzbaus zu widmen.

Es war nur ein kurzer Zauber – Mitte des Monats.

Und bevor dann alle nacheinander krank wurden, hatten die Kinder noch schnell ihre Schlitten aus dem Keller geholt und waren auf der halb verdeckten Grasnarbe einmal die Krater hinuntergerutscht.

Die Palme trug ein Spitzenhäubchen

es war kurz vor dem dritten Advent.

and a small tribute to Shane McGowan

Festlandfundsachen

C. – kleiner Helgoländer mit langem Stammbaum auf der Insel – ist ein großer Finder. Bevorzugt an den Stränden der Welt – am liebsten aber hier auf dem Felsen. C. beobachtet aufmerksam im Unterricht – und so untersucht er auch den Strand – und findet Dinge, die andere übersehen. Das letzte Fundstück ist eine Patrone aus dem Weltkrieg – 9mm – haben wir herausgefunden. Die Hülse ist offen, angerostet. Aus welcher und wessen Waffe mag sie gekommen sein? Hat sie ihr Ziel erreicht? – Wir hoffen beide -nicht.

Die Patrone wird ihren Platz in Cs Fundsachenvitrine finden – neben versteinerten Seeigeln und rätselhaften Henkeln.

Uns verbindet das Finden von kleinen Dingen, die wir nach Hause schleppen. Doch während Cs. Patrone in seiner Vitrine neben versteinerten Seeigeln und rätselhaften Henkeln einen Platz findet, landen meine Funde auf Schreibtisch, auf Esstisch, auf Fensterbänken oder auf Fotografien.

Manche Funde sind wie Begegnungen, alte Bekannte aus einer früheren Zeit, die sich noch einmal melden, bevor sie irgendwo endgültig verschwinden.

Diesen Pulli hatte ich einmal für ein Baby gestrickt. Inzwischen ist aus dem Baby eine junge Frau geworden, die in ihrem eigenen Leben steht. Und ich begegne noch einmal kurz dem Baby und mir – winke innerlich beiden zu – und erfreue mich an der tollen Erwachsenen.

Über dieses kleine Plakat, das zu Füßen einer Werbewand zwischen Landesmuseum und Mollerbau in D. lag, stolperte ich fast. Ich hob es auf – und, da es so aufwändig gestaltet war, klebte ich es wieder an. Zu schade, um es einfach liegen zu lassen.

Wer es wohl geschrieben hat? Warum? –

Ich könnte jetzt lange ausholen, über ‚Leistungsgesellschaft‘ als eine der Mythen des Kapitalismus erzählen, über protestantische Leistungsmoral und die jahrhundertelange langsame Zurichtung der menschlichen Seelen auf die Bedingungen eines seelenlosen Arbeitstaktes referieren. Nein – das ist nicht nötig. Denn ohne all dies studiert zu haben, hat der/die Künstler*in in der Frage alles zusammengefasst. (Und wer dies doch ausführlich wissen möchte, den verweise ich auf die Dokumentationen der arte-Mediathek. – ;-))

Fast wie als Antwort zeigte mir eine alte Freundin bei meinem Besuch ein altes Werk von Enzensberger über den spanischen Anarchisten Durruti.

Ein Leben des Aufbäumens gegen eine ungerechte Welt. Ein tragisches Ende im Spanischen Bürgerkrieg. Der Film beginnt mit der Aura des Gesetzlosen, die durch Zeitgenossen noch einmal beschworen wird. Doch endet er im Unvermögen von Anarchisten und Kommunisten, sich gemeinsam gegen die Faschisten zusammenzuschließen. Das Ergebnis kennen wir …

Turn the world around….

Mittelalter im Mittelland

Dort, wo big bäng einen Riesenkrater hinterlassen hat und heute Hunde Freilauffläche haben, fand der erste Mittelaltermarkt auf Helgoland statt.

Äh – Mittelalter, das darf man sich auf Helgoland nicht wirklich lustig und bunt vorstellen. Es gibt hier kein Grundwasser. Also fingen die Leute Wasser in Regenfässer auf. Es führte keine bequeme Treppe nach oben auf den Felsen, von einem Aufzug keine Rede. Es dürfte also beschwerlich gewesen sein, sein Geraffel nach oben in eine sichere Kate zu bringen, denn unten war der Hafen unbefestigt und damit jeglichen Stürmen ausgeliefert.

Die Verbindung zur Düne bestand noch, insgesamt war die Insel etwa viermal größer als heute. Die großen Sturmfluten im 14. und 18. Jahrhundert haben ordentlich ‚gefressen‘ und dem Felsen annähernd die heutige Form gegeben.

Im Mittelalter war der Felsen ein unbedeutender Klecks in der Nordsee, der zu Dänemark gehörte. Aber die Dänen interessierten sich für diesen Flecken erst, als im 15. Jahrhundet bei Helgoland große Heringsvorkommen auftraten.

Also – raue Lebensbedingungen …

Doch unsere Vorstellung von Mittelalter wird heute ohnehin eher von Tolkien und anderen Fantasy-Autoren geprägt, als dass sie historisch genau wäre.

Und so zieht während des Mittelalterwochenendes eine bunte, wild geschminkte Truppe durch die Stadt, um die Leute auf den Markt im Mittelland zu rufen. Lauter Volk darstellend, das außerhalb der mittelalterlichen Ständegesellschaft stand – Kräuterweiblein, Gaukler, Barden und lauter ziehendes Volk…..

So klein der Markt auch ist, gibt es doch alles, was einen Mittelaltermarkt auszeichnet:

Handwerk

und Geschmeide,

Räucherkräuter und Lebensberatung,

Holzschwerter und Schilde,

rustikal Gebackenes und

der unvermeidliche Met,

den Barden mit wilden Saufliedern und Schwertkampf

und Feuerspracht am Abend.

Am Montag frage ich meine Kinder:“Wie viel Mittelalter steckt denn in einem Mittelaltermarkt?“ –

Die Kinder:“Gab es schon Dixieklos? Wo haben die eigentlich hingemacht?“

Gekicher – als die Wahrheit herauskommt.

Hier der Mittelaltersound dazu …