Vulnerables Idyll

Der Tag heute war hell und grell. Nachts unter Null – auch tagsüber geht noch ein recht scharfer Nordostwind, so dass an den Schattenstellen selbst am Nachmittag noch Reifstellen zu sehen sind.

Doch die Sonne macht den Kopf ganz gaga. Sie zaubert die Tränen heraus, die fließen müssen, aber sie wärmt auch Herz und Hirn.

Die ersten Basstölpel sind angekommen. Sie zupfen sich schon die Nester zurecht, leider auch mit den Plastikresten vom letzten Jahr.

Sie streiten um die schönsten Plätze. Fällt einer beim Landen auf den falschen, geht – wie bei uns Zweibeinern – eine Welle der Empörung durch die Kolonie.

Der Wahlkampf auf dem Felsen bleibt leise. Bei der Post ist jemand auf die Idee gekommen, AfD-Flyer in die Postfächer zu legen. What? Das hat schon eine andere Qualität als Flyer, die in Briefkästen gesteckt werden.

Doch am selben Tag finde ich diesen Aufkleber an einem zentralen Ort.

Der Wahlkampf wird hier still geführt und der AfD-Aufkleber ist inzwischen abgekratzt ;-).

Ich denke in den letzten Wochen oft an Viktor Klemperer, der den Aufstieg der Nazis in den Zwanzigern vor hundert Jhhren sehr anschaulich in seien Tagebüchern beschreibt. Diese sind übrigens sehr gut in einem Podcast von der Historikerin Leonie Schoeler unter dem Titel ‚Die Geschichte geht weiter‘ aufbereitet worden.

Hier draußen – 60 km vom Festland entfernt – scheinen die Katastrophen und das Geschrei der Welt weit weg zu sein. Die Basstölpel balzen schon miteinander

und setzen den Nachwuchs an.

Aber es reicht auch bis hier hin – auf die eine oder andere Weise –

und dieses kleine Idyll ist leider sehr vulnerabel.

Nachrichten im Februar

Still ist es auf dem Felsen in den Wochen zwischen Silvester und Fasching.

Mal kommt die Sonne für ein oder zwei Tage heraus –

mal sieht es so aus – zum Beispiel heute.

Im Unterland hat der Kamelienstrauch (es gibt nur einen) wie jedes Jahr viel zu früh seine Blüten ausgetrieben,

während auf der Promenade am Südstrand der Wind mit Flaggen und einem einsamen Wahlplakat spielt.

Ja – Wahlkampf findet auch auf der Insel statt, aber anders als auf dem Festland.

Aushänge, die größer als Din A4 sind, bedürfen der Genehmigung der Gemeinde. Und diese Genehmigung einzuholen, scheint bisher nur eine Partei geschafft zu haben.

In der Post finde ich noch Flyer der SPD – an einem öffentlichen Ort?

Auf dem Heimweg entdecke ich einen AfD-Aufkleber auf einem Fallrohr – und überlegte kurz ……

Nein, ich habe ihn nicht abgekratzt – es ist eben Wahlkampf.

Auf der Schulwiese kampieren unzählig viele Nilgänse, während man die großen Zweibeiner-Gäste an der Hand abzählen kann.

Fast alles hat geschlossen – nur dem ‚Fischluft‘ entströmt Fischduft.

Meine Kinder lernen das schwierige Wort février und freuen sich auf mars. Das spricht sich deutlich leichter.

Nachts glüh’n die Sterne …..

Winterstille

Im Januar beginnt der zweite Teil des Winterschlafes auf Helgoland.

Nach der Kurzsaison um die Feiertage herum haben Geschäfte, Restaurants oder Hotels wieder geschlossen und feiern Urlaub bis Anfang März.

Vielleicht als Ersatz für fehlenden Schnee

hat ein Café ein Schneewula in seinen Fenstern aufgebaut.

Nach Tagen voll Hagel, Sturm und Wintergewittern strahlt die See heute in Eisblau und tut so, als wäre sie ein Ententeich.

Eine kleine Ente hat jemand auf einem Zaunpfahl an der Nordspitze hinterlassen.

Sie blickt unentwegt nach Westen in den Sonnenuntergang.

Auch mich lässt dieser Anblick nicht los und eine Welle von Gelassenheit, ja fast Glück flutet langsam in mir auf.

Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben und nach Th’s Tod vor vier Jahren Brot gebacken.

to be by your side

Vorabend Dritter Advent

Noch ist es still auf dem Felsen.

Nur wenige Gäste sind bereits angekommen, meistens Verwandtschaft, die mit ihren Lieben auf der Insel Weihnachten feiern wollen.

Es gibt auch keine bizarren Rituale wie auf einer anderen Insel der Nordsee. An Nikolaus laufen die Kinder lediglich um und sammeln Süßigkeiten, Äpfel und den einen oder anderen Euro ein.

Während in der Welt Diktatoren gestürzt werden oder in der Ukraine Menschen um ihre Infrastruktur bangen, verweilt der Felsen in Winterruhe.

Der Inselmarkt ist auffällig leer. Manchmal waren es die Regale in der letzten Zeit auch. Das hat allerdings nichts mit der Winterruhe, sondern mit den heftigen Stürmen der letzten Wochen zu tun. Der Frachter, der uns hier mit Lebensmitteln versorgt, ist in seinem Fahrplan leider auch vom Wetter abhängig. Und so stapelt sich auch die Post, die nach Helgoland gehen soll, auf dem Festland und kann hier erst nach und nach ausgeliefert werden.

Das sind angesichts der Weltereignisse nur kleine Sorgen.

Die Inselgemeinschaft hat den Felsen wieder weihnachtlich aufgehübscht

und wartet auf das Fest, das wir zu Ehren einer Kleinfamilie feiern, die ca. 2000 Jahren vor Unrecht geflohen ist.

Christmas at sea

De Önnerbansken

Auf Helgoland gibt es – wie an vielen anderen Orten – die Legende von einem alten kleinwüchsigen Volk. Es wohnte unter der Treppe im Felsen und half den Insulanern beim anstrengenden Tagewerk.

Wann imer irgendeine Arbeit abends liegen geblieben und dennoch morgens erledigt war, schrieb man es den Önnerbansken zu. Allerdings waren sie nicht nur freundlich. Angeblich tauschten sie auch gerne Neugeborene aus.

Irgendwann verschwanden die Önnerbansken. – Der Legende nach waren die Insulaner zu gierig geworden, schauten zu wohlgefällig auf die erledigte Arbeit und zollten den Önnerbansken keinen Respekt mehr.

Aber einigen Häusern scheinen sie heute wieder wohlgesinnt

und eingezogen zu sein ;-))

Das Leben ist jetzt

Die ersten Märztage sind Balsam auf Haut und Seele. Seit Monaten kommt die Sonne zum ersten Mal länger als zwei Stunden durch.

Die Schnucken brauchen allerdings noch dringend den dicken Pulli, denn der Wind bleibt kalt.

Es wird Zeit, dass die Saison wieder beginnt. Der Pegel der Tratschereien nimmt auf dem Felsen wieder zu – ein untrügerisches Zeichen, dass die Insulaner beginnen sich zu langweilen.

Draußen auf den Vogelfelsen sind die Lummen angkommen.

‚Das Leben ist jetzt‘ – sei das Motto der Boomer – so hörte ich es in einem Beitrag auf Deutschlandfunk nova, Krisenbewältigung die DNA dieser Generation. Deshalb seien sie so pragmatische und fröhliche Hedonisten. Aus ihrer Konsilianz erwachse manchmal ein Haltungsproblem. Aber Probleme im Hier und Jetzt zu lösen, sei ihre Kernkompetenz.

Ja – das Leben ist jetzt- und die Basstölpelpaare bauen fleißig ihre Nester. ;-)))

Drive the cold winter away

Der alte Herr Winter

Herrje – seit ich auf Helgoland lebe, habe ich hier noch keinen so grauen Winter erlebt.

Manchmal trieft die Luft vor Nässe – Regen im eigentlichen Sinne ist das nicht.

Aber würdest du ein Tuch in die Luft hängen, du könntest es binnen kurzem auswringen wie einen nassen Feudel.

Aber er – der Herr Winter – wird schon langsam alt. Er kann sich nicht mehr wehren gegen die länger werdenden Tage, die Krokusse, die hier und da schon blühen

oder ganz kecke Osterglocken, die sich in stillen Ecken hervortrauen.

Und die fliegenden Frühlingsboten sind da.

Auf allen drei Vogelfelsen haben sie sich niedergelassen und streiten wie die großen Helgoländer Zweibeiner um ihren Platz.

Und segeln wie junge Götter durch die Luft, die noch lange kalt sein wird.

Du langer Winter ….

Exoten im Schnee

Kaum war mein Besuch nach Hause gefahren, begann es zu schneien.

Dicke, fette Flocken zunächst –

die nach und nach die Gräber am Friedhof bedeckten.

Die Exoten im Garten bekamen ein neues Kleid –

morgens knirschte der Schnee leicht unter den Sohlen –

und der Leuchtturm schickt unbeirrt sein Licht in die Welt.

Was wird das Jahr bringen? –

Ein gutes Zeichen haben in den letzten Tagen viele Menschen gesetzt:

ein Nein zu Unmenschlichkeit und Ausgrenzung!

Wird es ein Ja zu Aushandeln und Frieden und Verantwortung für die Welt, die uns nährt?

Eine Freundin schickte mir zum Jahresanfang ein Zitat von Antonio Gramsci:

„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.

Was wir brauchen ist Nüchternheit:

einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens.“

Sicher ist nur – die Tage werden länger….

Zwischen den Jahren…..

meistens waren die Tage verhangen. Wind und Wetter luden nicht gerade zu langen Ausflügen ein. Aber dann riss der Himmel auf……

DER Tag für einen Familienausflug auf die Düne.

Schwesterchen und ich sitzen natürlich draußen – kaum hat die Witte Kliff den Hafen verlassen, tanzt sie auf den Wellen.

Man merkt noch die Nachwirkungen der letzten stürmischen Tage.

Im Winter ist die Düne das homeland der Kegelrobben.

Die Strandkörbe sind im Lager eingemottet und träumen von einem neuen Sommer.

Wir Zweibeiner gehen brav auf den vorgefertigten Wegen, steigen nicht über Zäune hinunter zum Nordstrand.

Denn dort – und nicht nur dort – haben sich die Kegelrobben mit ihren Jungen verteilt.

Man findet sie überall – auf dem Flugfeld, neben den Menschenwegen, unter dem Steg über den Dünen.

Leider können die Tiere nicht lesen – naja, manche Touris auch nicht – und halten nicht den empfohlenen Abstand von 30 m zu uns Zweibeinern ein.

Also machen wir den Bogen um sie herum, wenn sie ihr Baby neben unserem Weg säugen. Nun ja, das ist bei uns Zweibeinern nicht anders – der Hunger der Babys geht vor.

Eine kleine Übung in Respekt vor den Wesen, die neben uns leben.

Am Friedhof der Namenlosen halten wir inne.

Die Rock’n’Roll-Butter-Fahrer haben wieder von einem Freund Abschied genommen.

Ich denke an T., mit dem ich oft hier gestanden habe.

Rooat weeder

Wenn Wind , Wasser und Kälte dem Felsen zusetzen, färbt sich das Wasser am Nordstrand rot.

Die aufgepeitschte See zerreibt den sandstein so fein, dass er Farbe wird.

Das Wasser hat den Spülsaum weit nach oben versetzt.

Statt Strandglas und feinem Kiesel findet man jetzt nur Laminaria.

Und manchmal verirrt sich eine Kegelrobbe hierher.

Einer fehlt bei den Spaziergängen…