Sommerphilosophie

Zuerst maulten alle über die Hitze. Wenn man hier von Hitze spricht, handelt es sich um über 25 ° gemessene Temperaturen – gemütliche Wärme im Vergleich zum Festland.

Rosen, Pfeilkraut und Wildkohl sprießten, die ersten Basstölpel-Dinos waren geschlüpft.

Ich war auf Klassenfahrt – und die Kinder schon halb in den Ferien.

Dann kam der Regen. Waschküchenwetter, einmal am Tag verhaltener Sonnenschein – und wieder maulten die Kolleg*innen über den fehlenden Sommer. So sind sie – in der Regel unzufrieden (natürlich nicht alle;-)).

Manchmal dient die Klage über das unangebrachte Wetter auch nur als Feld, in dem man sich Luft macht, um all die ungesagten Dinge umschiffen zu können. Das ist hier nicht anders als auf dem Festland.

Ich habe einen neuen sozialen Status erreicht, den der Rentnerin.

Manche glauben, das sei nun wie zig Jahre Sommerferien. Nein, ich denke, dies ist ein Fehlschluss.

Ferien an sich ist schon unlogisch. Denn Ferien kann man nur haben, wenn man ansonsten zig Wochen an der Schippe steht. Frei verfügbare Zeit wäre angemessener – auch wenn dies für viele Boomer-Rentner gerade nicht der Fall ist. Sie müssen sich zur Rente etwas dazu verdienen, um über die Runden zu kommen.

Schließlich: Was ist Arbeit? – Nur die Tätigkeit, sei sie mental, energetisch oder physisch, für die mir jemand ein mehr oder weniger gerechtes Entgelt zahlt?

So arbeiten wir doch letztlich ein Leben lang,

wenn ich beim Abwasch über die Fragen meiner Schüler nachdenke,

wenn ich versuche, ein physikalisches Problem zu lösen,

wenn ich für jemanden Handstulpen kreiere,

wenn ich den Baulärm am Haus ertrage, ohne die Handwerker anzuschnauzen,

wenn ich einem Podcast folge,

wenn wenn wenn….

Der Service für Gäste hat auf dem Felsen einen neuen Höhepunkt erreicht: Empfehlungen für die schönsten Hintergründe für Selfies.

Ob diesen beiden die Empfehlungen zu schätzen wussten, kann nicht berichtet werden.

An der Nordspitze sind die kleinen Dinos inzwischen zu großen Punkern herangewachsen.

Mancher probiert schon seine Flugfähigkeit, aber die langen Segel müssen noch trainiert und die nötige Kraft für die Winterreise angefressen werden.

So sitzen sie noch mit Flaum um Kinn und Schnabel zwischen ihren sorglichen Eltern, lassen sich lausen und fiepen ‚Hunger, Hunger‘.

Ein Pärchen ist spät dran mit dem Nestbau, aber vielleicht hat es sich auch gerade erst gefunden.

Auf mich warten Sommerwochen auf dem Festland, die Vorbereitung eines neuen Lebensabschnittes und – wer weiß noch, welches Abenteuer.

Ungewiss

ist, wohin die Welt und das kleine Europa und darin der kleine Felsen mitten in der Nordsee segeln wird.

Am Wahltag beherrscht Nebel den Felsen. Wie passend, denke ich beim Aufstehen.

Gestern wurden die großen Plakate der Parteien aufgestellt und die hiesige CDU machte sogar ehrlichen Straßenwahlkampf.

Ich vermisse das Wahlkampfgetöse nicht wirklich. Das, was zu mir über Zeitungen oder Podcasts dringt, beunruhigt mich in Teilen genug, um schlecht zu träumen.

Nach meinem Termin mit dem Wahllokal besuche ich die anderen Zweibeiner.

Unbeeindruckt vom Lauf der Welt zupfen Basstölpel das alte Gras zur Polsterung ihrer Nester ab.

Ganz anders die Lummen: Sie quetschen sich dicht an dicht an den Felsen und sorgen so für Wärme. Ihre Eier werden später von kleinen Absätzen im Felsen gehalten werden.

In meiner Lieblingskolonie werden die Nester weiter gebaut. Ihre Bewohner fliegen an oder ab.

Und wenn der geliebte Partner zurückkommt, gibt es großes Hallo und Feierei.

Es ist feucht und kalt hier draußen. Der Dunst verwischt oben und unten – kein einfaches Bild, wenn man gerade selbst nach Orientierung sucht.

Ich sitze auf den Resten einer alten Flak-Stellung aus dem 2. Weltkrieg, während drei alte Männer versuchen, die Welt unter sich aufzuteilen.

Nächste Woche kommt Besuch – ganz viel Gelegenheit, es den Lummen gleich zu tun – und ich freue mich tierisch.

Vulnerables Idyll

Der Tag heute war hell und grell. Nachts unter Null – auch tagsüber geht noch ein recht scharfer Nordostwind, so dass an den Schattenstellen selbst am Nachmittag noch Reifstellen zu sehen sind.

Doch die Sonne macht den Kopf ganz gaga. Sie zaubert die Tränen heraus, die fließen müssen, aber sie wärmt auch Herz und Hirn.

Die ersten Basstölpel sind angekommen. Sie zupfen sich schon die Nester zurecht, leider auch mit den Plastikresten vom letzten Jahr.

Sie streiten um die schönsten Plätze. Fällt einer beim Landen auf den falschen, geht – wie bei uns Zweibeinern – eine Welle der Empörung durch die Kolonie.

Der Wahlkampf auf dem Felsen bleibt leise. Bei der Post ist jemand auf die Idee gekommen, AfD-Flyer in die Postfächer zu legen. What? Das hat schon eine andere Qualität als Flyer, die in Briefkästen gesteckt werden.

Doch am selben Tag finde ich diesen Aufkleber an einem zentralen Ort.

Der Wahlkampf wird hier still geführt und der AfD-Aufkleber ist inzwischen abgekratzt ;-).

Ich denke in den letzten Wochen oft an Viktor Klemperer, der den Aufstieg der Nazis in den Zwanzigern vor hundert Jhhren sehr anschaulich in seien Tagebüchern beschreibt. Diese sind übrigens sehr gut in einem Podcast von der Historikerin Leonie Schoeler unter dem Titel ‚Die Geschichte geht weiter‘ aufbereitet worden.

Hier draußen – 60 km vom Festland entfernt – scheinen die Katastrophen und das Geschrei der Welt weit weg zu sein. Die Basstölpel balzen schon miteinander

und setzen den Nachwuchs an.

Aber es reicht auch bis hier hin – auf die eine oder andere Weise –

und dieses kleine Idyll ist leider sehr vulnerabel.

Nachrichten im Februar

Still ist es auf dem Felsen in den Wochen zwischen Silvester und Fasching.

Mal kommt die Sonne für ein oder zwei Tage heraus –

mal sieht es so aus – zum Beispiel heute.

Im Unterland hat der Kamelienstrauch (es gibt nur einen) wie jedes Jahr viel zu früh seine Blüten ausgetrieben,

während auf der Promenade am Südstrand der Wind mit Flaggen und einem einsamen Wahlplakat spielt.

Ja – Wahlkampf findet auch auf der Insel statt, aber anders als auf dem Festland.

Aushänge, die größer als Din A4 sind, bedürfen der Genehmigung der Gemeinde. Und diese Genehmigung einzuholen, scheint bisher nur eine Partei geschafft zu haben.

In der Post finde ich noch Flyer der SPD – an einem öffentlichen Ort?

Auf dem Heimweg entdecke ich einen AfD-Aufkleber auf einem Fallrohr – und überlegte kurz ……

Nein, ich habe ihn nicht abgekratzt – es ist eben Wahlkampf.

Auf der Schulwiese kampieren unzählig viele Nilgänse, während man die großen Zweibeiner-Gäste an der Hand abzählen kann.

Fast alles hat geschlossen – nur dem ‚Fischluft‘ entströmt Fischduft.

Meine Kinder lernen das schwierige Wort février und freuen sich auf mars. Das spricht sich deutlich leichter.

Nachts glüh’n die Sterne …..

Juhu! Endlich…..

Ferien. Meine Schüler*innen und auch die Kolleg*innen haben die letzten zwei Wochen noch gerade so durchgestanden.

Am Freitag gab es Zeugnisse und während sich in anderen Bundesländern die freie Zeit schon wieder dem Ende zuneigt, starten wir durch.

Auf dem Felsen tummeln sich Tages- wie Wochengäste.

Manche durchmessen im Schnellschritt die 1,8 qkm der Insel. Sie wollen alles gesehen haben, dann schnell noch etwas essen, Kaffee oder Bier schlürfen und sich dem vermeintlich billigen Einkauf in diversen Duty-free-Shops hingeben.

Viele Männer haben noch immer nicht gelernt, vorausschauend zu laufen und den höflichen Bogen um Entgegenkommende zu machen. (What? – seufz!) Hätte ich nicht in letzter Sekunde die Schulter zurückgezogen, wäre mir heute ein schmerzlicher Zusammenstoß passiert.

Wir sind zwar im 21. Jahrhundert angekommen, aber Gebahren und Haltung mancher Kerle erinnert nach wie vor an einen Cowboy, der sich den Weg ohne Rücksicht auf Verluste freischießt. Das scheint im Kleinen wie Großen an der Tagesordnung zu sein.

Andere Gäste bewegen sich gemütlich voran. Sie haben Zeit, weil sie länger bleiben, teilen sich die Highlights, von denen es viele gibt, wenn man sich darauf einlässt, sorgsam ein. Sie bummeln freundlich von Blüte zu Kirche, von Kirche zur Klippe, von Klippe zum Lieblingscafé, das mit Helgoländer Galgenhumor wirbt…

und einem ausgezeichneten Kaffee.

Auf der Südpromenade wurde schon vor einiger Zeit ein tastbares Modell von Helgoland und Düne aufgestellt –

ein kleiner weiterer Schritt zu mehr Inklusivität auf Helgoland.

Am Südstrand herrscht Badebetrieb.

Auf meinem Rückweg begegne ich R., dem alten Heilpraktiker.

Wir grüßen uns freundlich. Denn er hatte eine besondere Vorliebe für T, die er durch heftiges Rügen wegen T.s ausgiebiger Raucherei ausdrückte.

„Er kann nicht aus seiner Haut“, meinte T. damals achselzuckend und grinsend, als ich mal nachfragte. Heute lächelt R. mir zu: “ immer fleißig!“-, während ich meinen Einkauf nach Hause schleppe. Das habe ich zum letzten Mal als junge Frau gehört. Ich lächele zurück und nehme es wie T.

Es ist der schönste Sommerabschnitt auf Helgoland – aber ich fahre in den nächsten Tagen dahin, wo andere wohnen.

– Ein paar Wochen Reisen, Leute sehen, neue Gedanken und Eindrücke finden – meine Wandervogelseele hüpft schon ein wenig….

Thousands are sailing

Kleine und große Ragazze

Auf dem Felsen benimmt sich der Sommer wie überall in der Republik – er ist durchwachsen von kurzen Schauern im Wechsel mit Sonnenscheinperioden.

Die Insulaner – Kummer gewöhnt – tragen trotzdem kurze T-Shirts, denn es ist Sommer – punktum! Der Wind kann uns schon lange nichts mehr anhaben und die Sonne muss man nutzen, wenn sie scheint.

Wie Hortensien in Nachbars Garten oder

Stockrosen, die auf dem Friedhof stehen.

Im Pastorinnen-Garten reifen die Johannisbeeren.

Disteln blühen auf den Matten des Felsens und haben Pfeilkresse und Wildkohl abgelöst.

Am Vogelfelsen sind aus Küken Bratzen geworden, die zum Teil schon ihre Eltern überragen.

Einige üben bereits die Flügel zu entfalten.

Auch wenn das Federkleid noch zu dünn ist, um zu tragen, kann man ja schon mal ausprobieren, wie weit die Arme reichen.

Zwischendurch ein Trip nach Oldenburg – beruflich mit den Menschenkindern.

Nein – es folgt kein Kinderkontent, aber ein paar Eindrücke aus der Stadt.

Oldenburg kannte ich aus schwärmerischen Erzählungen einer Studienfreundin, die Oldenburg liebte, weil ihr Bruder hier einst studierte.

Ja, das kann ich jetzt verstehen. Die Straßenzüge sind schon Erholung fürs Auge, wenn man den herben Charme der helgoländischen Architektur kennt.

Die ist zwar inzwischen auch Altbau, aber eben – kriegsbedingt – nicht so abwechslungsreich divers wie auf dem Festland.

Natürlich gibt es kleine Gässchen mit netten Überraschungen.

Stolpersteine legt man hier nicht ins Pflaster, sondern befestigt sie an der Hauswand. Man möchte nicht, dass sie betreten und verschmutzt werden.

Hinweise oder Bitten werden großstädtisch lässig ignoriert.

Die neue Zeit hat schon ihre eigenen Zeichen gesetzt.

Im Nachdenken über die großen und kleinen Katastrophen einer Schulfahrt wird der Himmel langsam dunkel und auf mich zieht ein Wolkenfeld zu.

Rückwärtig noch Sonnenschein.

Doch dann fängt es an zu tröpfeln , wird mehr und mehr …….

Die Stadt am Meer….

Postkarte – Kommen und gehen

Der Himmel ist heute so makellos blau, als habe ein Künstler sich das kitschigste Azur erschaffen, das er mischen konnte.

Die See schillert so samtig weich, als wolle sie zum Darüberstreicheln einladen.

Zwei Gäste liegen vor dem Felsen,

ein alter Segler, der hin und wieder Helgoland anläuft,

ein Kreuzfahrtmonster, aber eins von den kleineren.

Die Welt ist bunt und prall und satt in ihrem Blühen und Reifen.

Trotz alldem hat vor ein paar Tagen wieder eine Seele diese Welt verlassen.

Es war ein junger Mensch mit einer jungen Seele,

einer von den Guten,

einer von denen, die man braucht,

um die Welt zu retten.

Seine Seele findet ihren Frieden in der anderen Dimension des Seins.

Drum – werft ihm nichts nach an Gerüchten und Vermutungen.

Lasst ihn in Würde ziehen.

Kommen und Gehen“ von Gerhard Gundermann

Statements – Kunst auf der Fläche

Der Zustand der Welt verlangt manchmal Stellungnahme – und mich freut, wenn ich sehe, dass er – der Zustand der Welt – nicht unkommentiert hingenommen wird – egal, ob auf dem Felsen oder dem Festland.

Die Solidarität gegen den Ukrainekrieg war groß – aber auch gegen die Umdeutung von Grundrechten durch die AFD wurde und wird auf dem Felsen Stellung genommen.

In Heide fand ich eine Botschaft an einer kleinen Kneipe:

Aus einem Fachschaftsraum der TU in Darmstadt lugten alte Pappschilder:

Ich selbst trage keine Statements-T-schirts, aber das unterschreibe ich:

Das rührte mich besonders an –

Dieses Arrangement dagegen wirkt eher wie ein Abgesang der Liebe.

Großartiges Versprechen – aber -Hä – wo? Im Müllcontainer?

Neben dem Schwimmbad in Darmstadt fand ich ein Etwas, das nach oben strebte – fast mehr Luft- als Wasserwesen.

So leicht – so zu schweben – Grenzen

Stadtimpressionen

Wenn man als Insulaner*in lange nicht auf dem Festland war, fühlen sich Städte an wie Bausteine, die ein großes Kind wild durcheinander geworfen hat.Große, kleine , bunte, graue – erst nach und nach sortiert sich wieder das Bild, das wir als ‚Stadt‘ gelesen gelernt haben.

Erstaunlich – wie viele Menschen in diesen Würfeln wohnen, erstaunlich – wie sie sich gegenseitig aushalten.

In D. bewege ich mich meistens zu Fuß fort – aber das Angebot an Mobilität hat sich enorm erweitert – und die Roller sind Leihrädern gewichen.

In der Mitte der Stadt lag einst der Kaufhof, eine echte Institution, denn in meiner Kindheit gab es dort gefühlt alles zu kaufen.

Heute wirkt das Benko-Opfer wie eine Anklage – an einen falschen Lebenstil, an verlorene Arbeitsplätze (auch andere Gebäude in der Stadt stehen leer) – ein Abgesang auf eine alte Welt und alte Vorstellungen.

Städte – das sind Menschen und ihre Geschichten. Heute ist man auf Georg Büchner stolz – sowohl in D. wie in G. findet man seinen Kopf – und feiert ihn als widerständigen Demokraten – zu Recht!

In Gießen findet sich auf dem Kanzleiberg – mitten in der Stadt – neben dem alten Schloss das Denkmal der politischen Köpfe.

– Büchner vereint mit Ludwig Börne, Carl Vogt und Wilhelm Liebknecht (dem Papa von Karl).

Man hat sie in ihren Zeiten verjagt und verfolgt. Ihre Köpfe ruhen so auf ihren Stelen, dass man ihnen direkt in die Augen sehen kann.

Was meint ihr Alten – so geehrt – zu unserer Welt?

Es ist schade –

so in Bronze gegossen und festgenagelt auf einen Augenblick können sie nicht antworten.

Sie brauchen auch heute Weite für ihr Herz und Wolkenschiffe für ihre Gedanken – In dieser Zeit….